Waldbrunn. Er könnte schon hier sein, ohne dass wir ihn bisher bemerkt hätten, ließ Referentin Christine Günther im Rahmen einer vom NABU Waldbrunn organisierten Vortragsveranstaltung auf Nachfrage wissen, denn einerseits sei der Odenwald sehr gut geeignet und andererseits habe es in den vergangenen Jahren immer wieder Sichtungen bzw. Funde in erreichbarer Nähe gegeben.
Die Rede war hier vom Wolf. Ein Raubtier, dessen letzter Vertreter nach einer tagelangen Treibjagd, die wohl damals hysterische Züge angenommen hat, im Jahr 1866 in der Nähe von Dielbach erschossen wurde. Ausgestopft fand das Tier dann im Eberbacher Heimatmuseum eine neue „Heimat“ vor er seit Jahrzehnten zur Illustration der elterlichen Erzählungen vom Rotkäppchen herhalten muss.
Christine Günther ist “Geschulte Person” im Wildtiermonitoring der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA), Koordinatorin von WikiWolves in Baden-Württemberg und
Hessen sowie NABU Wolfsbotschafterin. Sie züchtet selbst Schafe und berät Nutztierhalter zum Thema Herdenschutz. Ihren Hund Djemba trainiert sie derzeit darauf, Wolfsspuren zu finden und
anzuzeigen. Christine Günther legt Wert auf eine sachliche Debatte, basierend auf wissenschaftlichen Fakten, fernab von Geschichten und Märchen oder verklärter Wolfs-Romantik.
Mit wie viel Herzblut sich Christine Günther mit dem Thema „Wolf“ befasst wurde im Rahmen ihres Vortrags im Gasthaus Drei Lilien in Mülben deutlich.
Während man den Wolf im Odenwald bereits 1866 ausgerottet hatte, wurden im restlichen Deutschland bis zur Jahrhundertwende um 1900 noch einige Einzeltiere erlegt, ließ sie das interessierte
Publikum wissen. Spätere Zuwanderer, meist auf dem Gebiet der DDR, wurden bis Anfang der 1990-er Jahre ebenfalls erschossen. Insgesamt waren es 35 Tiere die nach dem II. Weltkrieg so den Tod
fanden. Im Gebiet der BRD wurden Wölfe 1987 unter Schutz gestellt, das Gebiet der neuen Bundesländer folgten 1990. Dennoch wurden zwischen 1990 und 1999 immerhin noch fünf Ansiedelungsversuche
durch Jagdgewehre blutig unterbunden, so die WikiWolves-Koordinatiorin. Weitere zwei Tiere fielen dem Autoverkehr zum Opfer. Aktuell wurden im Monitoringjahr 2015/2016 in Deutschland insgesamt 46
Wolfsrudel, 15 Wolfspaare und vier territoriale Einzeltiere gezählt. Die meisten davon in Sachsen und Brandenburg, Es folgten Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern sowie Niedersachsen und
Thüringen.
Wolfe leben in bis zu zehn Tieren großen Rudeln, so die Expertin weiter, die menschlichen Kleinfamilien ähneln. An der Spitze steht das Elternpaar, das in der Regel eine lebenslange Bindung
eingeht, und deren Nachkommen mit den Jungtieren aus dem Vorjahr – sogenannte Jährlinge – und den Welpen aus den neuen Würfen. Die jungen Wölfe lernen von ihren Eltern. Als soziale Tiere bringen
sich aber auch die älteren Geschwister bei der Aufzucht der Welpen ein. Sie füttern die Welpen und passen auf den schutzbedürftigen Wurf auf, während die Alttiere auf Futtersuche gehen. Im
Gegensatz zu vielen anderen Tierarten, pflegen die Wölfe auch erkrankte oder verletzte Rudelmitglieder.
Die Jungwölfe machen im Alter von einem bis zwei Jahre immer weiter weg führende Ausflüge bis sich sich irgendwann ganz vom Herkunftsrudel etablieren. Ein wandernder Jungwolf kann laut Christine
Günther auf der Suche nach einem Lebenspartner und einem Revier bis zu 1.500 Kilometer zurücklegen.
Bei solchen Dimensionen ist es also auch problemlos möglich, dass Wölfe innerhalb Deutschlands bis in den Odenwald, der flächenmäßig bis zu acht Rudel Platz bieten kann, vordringen und sich dort
niederlassen. Auch Die Rudel in den Vogesen sowie in den Schweizer Alpen leben in gut erreichbarer Entfernung.
Hierzu passen auch die Funde zweier überfahrener Brüder aus einem Rudel in der Schweiz in diesem Jahr sowie die Sichtungen in der Nähe von Frankfurt im letzten Jahr. Bei dem Rudel in der Schweiz
fehlt von fünf Jungtieren, alle männlich, bis jetzt die Kenntnis über ihre Wanderroute, sodass es theoretisch durchaus vorstellbar ist, dass Isegrim bereits durch den Odenwald streift.
Während dies für viele Naturbegeisterte sowie Umwelt- und Artenschützer mit romantischen Vorstellungen verbunden ist, gibt es auf der anderen Seite das Lager der Landwirte bzw. Schäfer, die große
materielle Verluste befürchten, sollte der Wolf wieder in Baden-Württemberg heimisch werden. Hierzu trägt auch die Tatsache bei, dass der Wolf bei eingepferchten Schafherden in einen „Blut- bzw.
Jagdrausch“ verfällt. Dies sei der genetischen Programmierung des Tiers geschuldet. Er mache nicht etwas Schluss, nehme seine Beute und verschwindet im Wald, vielmehr folge er seinem Jagdtrieb
bis alle Schafe tot sind. So entsteht den Tierhaltern ein überproportional hoher Schaden, weshalb er viel Zeit und Geld aufwenden muss, um seine Tier zu schützen. Normalerweise fresse ein
Wolfsrudel alte, schwache oder kranke Wildtiere, sodass der Räuber eine wichtige Funktion im Wald erfülle, die Tatsache, dass sich Schafe und andere Weidetiere mit viel weniger Aufwand jagen
lassen, führe aber dazu, dass das Wolfsrudel ganz natürlich den Weg der geringsten Anstrengung geht.
Tierhalter müssen sich daher – auch im sogenannten Wolferwartungsland Baden-Württemberg mit dem Thema Herdenschutz befassen. Hier sei auch die Landesregierung gefordert, denn bisher trage der
Landwirt bzw. Schafhalter die materiellen Verluste aus eigener Tasche. Naturschützer wie auch der NABU fordern daher einen Handlungsleitfaden Wolf. Dabei soll das Tier nicht nur in realistischer
Art vermittelt werden, auch die Schadensregulierung für Tierhalter sowie notwendige Schutzmaßnahme, die Herdenbesitzer ergreifen können, sollen darin erörtert werden.
Um darüber hinaus auf die Wiederansiedelung vorbereitet zu sein, erstellt die Forstliche Versuchsanstalt in Freiburg einen Wolfsmanagementplan. Darin wird auch die Benennung von
Wildtierbeauftragten vorgestellt, die als Ansprechpartner für Fragen rund um den Wolf bereitstehen sollen.
Abschließend erläuterte die Referentin verschiedene Schutzmaßnahmen zu denen unterschiedliche Schutzzäune, aber auch speziell ausgebildete Herdenschutzhunde gehören. Als scheuer Räuber ließen
sich Wölfe nämlich relativ einfach fernhalten und die Schäden minimieren, weiß Günther.
Um auf den Wolf im Odenwald vorbereitet zu sein, schult Christiane Günther aktuell ihren Hund Djemba darauf, Wolfsspuren zu finden und anzuzeigen.
Nach ihrem Vortrag musste die Referentin viele Fragen aus dem 80 Personen großen Plenum beantworten. Dies zeige das übergroße Informationsbedürfnis der Bevölkerung, so das Fazit der Wolfsexpertin
und der NABU-Organisatoren, die sich dem Thema auch weiterhin widmen möchten. Dann bleibt Waldbrunn vielleicht nicht nur der Ort an dem vor 150 Jahren der letzte Wolf des Odenwald getötet wurde,
sondern auch einer der ersten, an dem er wieder heimisch wurde.
Kommentar schreiben